Unser Briefverkehr um Ecken mit der Bundesbeauftragten für Drogenfragen

—–Ursprüngliche Nachricht—–

Von: Schäfer, Uwe -AS2 BMG

Gesendet: Montag, 26. November 2007 09:28

An: SCM

Betreff: AW: Patienten bitten nochmals um Hilfe

Sehr geehrte Frau Gebhardt,

haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben an die Drogenbeauftragte der
Bundesregierung, Sabine Bätzing. Ich wurde gebeten, Ihnen zu antworten.

Wie bereits in der Antwort der Bundesregierung vom 13. November 2006 zur "Verwendung von Cannabis zu therapeutischen Zwecken" (Bundestagsdrucksache Nr. DS 16/3393) ausgeführt, handelt es sich bei Cannabis nach wie vor um ein nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, dessen therapeutischer Nutzen – abgesehen von Dronabinol bei bestimmten Indikationsbereichen – bis heute nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist.

Der Bundesregierung sind zwar Studien zu bestimmten definierten und standardisierten Cannabisextrakten bekannt, jedoch haben auch diese Studien bislang keinen endgültigen Wirksamkeitsnachweis erbracht. Deshalb kommt derzeit auch eine Umstufung von Cannabisprodukten – über Dronabinol hinaus – im Anhang des Betäubungsmittelgesetzes nicht in Betracht.

Seit 1998 besteht die Möglichkeit, den synthetisch hergestellten Cannabis-Wirkstoff Dronabinol ärztlicherseits mit einem Betäubungsmittelrezept zu verschreiben. Die Krankenkassen übernehmendie dafür anfallenden Kosten im allgemeinen nicht, da die Substanz in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen ist.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Artikel 4 Buchstabe c des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 verpflichtet, die Verwendung von Suchtstoffen, einschliesslich Cannabis, auf ausschliesslich medizinische oder wissenschaftliche Zwecke zu beschränken.

Gemäss § 29 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz unterfällt Cannabis deshalb der grundsätzlichen Strafbarkeit des unerlaubten Besitzes, des Anbaus und des unerlaubten Handels.

Im Mai 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im öffentlichen Interesse liegen kann, sofern sie der Sicherstellung der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung dient. Diese kann im Einzelfall auch den Einsatz von (nicht verschreibungsfähigen) Betäubungsmitteln zur individuellen therapeutischen Anwendung umfassen. Das für die Erteilung der erforderlichen Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bezieht seine Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung unter Berücksichtigung der spezifischen therapeutischen Anwendung immer auf den konkreten jeweiligen Einzelfall.

Erst kürzlich hat die Bundesopiumstelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erstmals einer an multipler Sklerose erkrankten Patientin erlaubt, Cannabisextrakt zur Linderung ihrer Schmerzen einzusetzen. Diese Entscheidung wurde unter verantwortungsvoller Abwägung aller relevanten Sachverhalte des Einzelfalls im Interesse der individuell notwendigen medizinischen Versorgung der Patientin getroffen.

Wir gehen davon aus, dass auch in weiteren ähnlich gelagerten und begründeten Fällen eine Erlaubnis des BfArM zur Verwendung von Cannabis aus medizinischen Gründen erfolgen wird.

Die rechtlichen Bestimmungen zur Erlaubnis der medizinischen Nutzungvon Cannabis sind daher aus unserer Sicht derzeit ausreichend. Für eine Umstufung von Cannabis aus der Anlage I in die Anlage III zu §1 Abs. 1BtM besteht somit keine Veranlassung.

Die in ihrem Schreiben geforderten Ausnahmegenehmigungen für den Eigenanbau kommen wegen der Nichtkontrollierbarkeit des THC-Gehalts der Pflanzen nicht in Betracht.

Bisher abgelehnte Anträge können bei Vorliegen neuer Sachverhalte (Änderung des Krankheitsbildes o.Ä.) erneut gestellt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Uwe Schäfer
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Geschäftsstelle der Bundesbeauftragten

fär Drogenfragen

Bundesministerium für Gesundheit

Friedrichstr. 108, D-10117 Berlin

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Unsere Antwort:

Sehr geehrter Herr Schäfer

Vielen Dank fär Ihre Antwort auf unser Anschreiben. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir hatten uns eine konstruktive Auseinandersetzung mit denkonkreten Problemen der Patienten erhofft, welche sich durch das restriktiv gehandhabte Antragsverfahren und wegen des Zwanges zur Illegalität unnötigen Erschwernissen ausgesetzt sehen.

Die von Ihnen zitierte Stellungnahme der Bundesregierung von 2006 ist uns hinlänglich bekannt, daher können wir Ihrem Schreiben keinerlei Aspekte entnehmen, die Aussicht auf Abhilfe unserer unhaltbaren Situation unter derart inhumanen Bedingungen versprächen.

Zu unseren bereits im letzten Schreiben hinreichend vorgetragenen Gründen, wieso die vom Bundesministerium für Gesundheit vorgeschlagene Extrakt-Lösung inakzeptabel ist, möchten wir auf ein weiteres Manko hinweisen:

Das BfArM hat die monatliche Höchstverschreibungsmenge auf 500mg THC festgelegt Diese Festlegung ist willkürlich, medizinisch nicht untermauert und unterschreitet bei vielen Patienten die persönlichen Erfahrungswerte einer wirksamen Dosierung.

Die Dosierung muss – ebenso wie ihre Verschreibung – in den Händen unserer behandelnden Ärzte liegen und darf nicht fernab jeden individuellen Krankenschicksals in den durchweg mit Skepsis und Ablehnung besetzten Büros des Bundesinstituts entschieden werden.

In Kanada, wo Patienten die medizinische Verwendung von Cannabis gestattet wird, müssen die Ärzte eine Dosierung erst begründen, wenn sie 5 Gramm Cannabis am Tag überschreitet. Umgerechnet in THC-Gehaltdarf dort also Pro Tag mehr verschrieben werden, als das BfArM hier als oberste Monatsdosis festschreibt.

Überdies zeichnet sich zwischenzeitlich ab, dass die Kosten für den Extrakt sich beim halben Preis von Dronabinol einpendeln werden. Auch dies widerspricht dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das ausführt, dass Patienten nicht auf ein Medikament verwiesen werden dürfen, das sie nicht bezahlen können.

Wir begrüßen, die parlamentarische Initiative der Grünen und wünschen uns, dass sich die politisch Verantwortlichen – zu denen auch Ihre Vorgesetzte, Frau Bätzing, gehört – ernsthaft mit der Situation der vielen von chronischer Krankheit Betroffenen auseinandersetzen, die von Cannabis profitieren (würden).

Diese Klientel umfasst nicht allein diejenigen Personen, welche die enorme Zivilcourage und die Ausdauer aufgebracht haben, sich über Jahrehinweg der verwaltungsrechtlichen und kostenpflichtigen Hinhaltetaktik seitens des BfArM auszusetzen, sondern auch diejenigen, die aus Frustoder schlicht am Ende ihrer physischen Kräfte ihren Antrag zurückgezogen haben. Tausende, die erst gar keinen Antrag gestellt haben, weil sie offenbar mit einer illegalen Versorgung mit Cannabis als Medizin besser zurechtkommen, als den aussichtslos scheinenden Kampf "David gegen Goliath" führen zu müssen, der für die überwiegende Anzahl der Antragsteller bisher nur zu Demütigungen, stressverursachte gesundheitliche Komplikationen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verurteilungen geführt hat.

Wir erinnern Sie ein weiteres Mal: Sie verwehren schwerkranken Menschenden nach den Vorgaben des BtM-Gesetzes möglichen Zugang zu einem Medikament, das ein Minimum an Lebensqualität in Aussicht stellt. Unsere medizinische Versorgung mit Cannabis ist mit dem Extrakt und dem Antragsverfahren beim BfArM NICHT GELÖST!

Das betrifft sämtliche Patienten

  • die sich den Extrakt nicht leisten können
  • denen 500mg THC nicht reichen
  • die sich auf langwierige Experimente mit nebenwirkungsreichen schulmedizinischen Präparaten nicht einlassen können

Es betrifft alle Patienten die einen Arzt haben:

  • der über Cannabis nur unzureichend informiert ist, einzig Meldungenaus dem Gesundheitsministerium gegen die Verwendung von Cannabis kenntund deshalb vorschnell mit dem Stigma "Abusus" innerhalb derKrankenakte agiert,
  • der aus Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen dieVerschreibung von Dronabinol verweigert, was als Voraussetzung für einen beim BfArM zu stellenden, weiterführenden Antrag auf pflanzlichesCannabis gilt,
  • der aus Angst vor der Überprüfung seiner Therapie durch das BfArM seinen Patienten nur halbherzig bei dessen Antrag unterstützt.

Es betrifft fernerhin Patienten

  • die an psychischen Erkrankungen wieZ.B. Depressionen, Borderline oder Aufmerksamkeits-Defizit-Syndromleiden und von Fachärzten betreut werden, die der Verabreichung von Cannabis traditionell sehr konservativ gegenüber stehen.
  • die ihre ehemalige Suchterkrankung mitCannabis in den Griff bekommen haben und die vielen, welche wegen ihrer illegalen Medikamentierung bereits juristisch belangt wurden und aktuell noch immer werden.
  • die wegen etwaiger Vorstrafen und der nichtmedizinischen Begründung einer "Unzuverlässigkeit" per se vom Zugang zu cannabishaltigen Medikamenten ausgeschlossen werden sollen, obgleich die verwaltungsrechtlich konstruierte "Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr" im Falle von Vorbestraften in Substitutionsprogrammen möglich ist.

In der Hoffnung auf baldige Hilfe für die Betroffenen verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Gabriele Gebhardt
Sprecherin SCM

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