Brief eines Betroffenen an einen ebenfalls Betroffenen
Ich hab ein mir wieder Hoffnung gebendes Erlebnis gehabt und möchte Dir berichten:
Wie du ja eventuell mitbekommen hast, ging es mir nicht gut.
Ich habe zusätzliche Entzugssymptomatiken gezeigt und diese überleben müssen. Ausgelöst durch Toleranzentwicklung, und das zeitliche Einhalten der Wechsel meines Fentanyl-Pflasters. Pflasterwechsel alle drei Tage war die Aussage meines Arztes, jedoch bekam ich teils schon nach 2,5 Tagen oder eher richtig scheisse Entzug. Das habe ich auch meinem Arzt berichtet. Er meinte nebenbei, dass ich dann eben schon eher wechseln solle. Schwammige Aussage. Ich hab mich dann informiert und kam zu dem Schluss, dass, wenn alles gut geht, das Pflaster bis 3 Tage seinen Wirkstoff gleichmäßig abgeben kann. Die Betonung liegt hier auf Kann! Jedoch können einige Faktoren einen Pflasterwechsel nach schon 2 Tagen notwendig machen. Vermeidbare Quälerei über Jahre, sag ich nur. Ich habe mich nicht getraut eher zu wechseln. Es geht ja mal ein Pflaster ab oder beim Aufkleben geht was schief und, und, und….Ich wollte nicht in den Verdacht kommen, mir für dieses BtM unregelmäßig Rezepte verschreiben zu lassen. Du verstehst sicher, was ich sagen, ausdrücken will … Na ja, der Arzt meinte, dass die Entzugserscheinungen nun wohl doch der Behandlung bedürften. Auszuhalten waren sie kaum noch. Da hatte ich manchmal Angst, dass ich verrückt werde …
Nun stand bei mir also ein Entzug der mir legal verordneten BtM und anderen Medikamenten ins Haus. Da ich grundsätzlich einverstanden war, habe ich mich natürlich auch wieder einmal "so richtig" kundig machen wollen, spürte aber, dass da gemauert wird, was das Zeug hält. Irgend etwas hat ja jeder in seinen Köpfchen, was den Entzug von BtM betrifft. So auch ich. Verständlich? Habe ich Angst gehabt … Ich habe mir nicht vorstellen können wie ein Entzug funktioniert. Meine Freundin hat über Seelsorger und Krankenschwestern, die mit diesen Sachen Bescheid wissen, nur heraus bekommen, dass man da als Angehöriger GANZ STARK sein muss. Das hat mich nur noch unsicherer und ängstlicher gemacht. Mein Arzt sagte mir im Vorfeld nur, dass der Entzug in Deutschland zu machen geht und über Monate dauert. Und "schön" wäre das auch nicht. Allerdings gehe es auch in Moskau. 14 Tage Koma. Darüber findet man auch was im Internet.
Im Forum der Deutschen Schmerzliga stieß ich dann aber doch erst mal noch auf Patienten mit ähnlichen Verletzungen und Symptomen wie ich sie habe. Deren Medikamentengabe erfolgte allerdings in weit höherer Dosis und über weitaus längere Zeiträume. Ohne, dass jemals von Entzug die Rede war…Auch bekamen alle Schmerzpatienten mit Durogesic-Pflastern zusätzlich ein schnell wirkendes hochdosiertes BtM, um ihre Durchbruchsschmerzen zu bekämpfen. Mir wird jenes seit über 11 Jahren verwehrt! Ich habe über diese Zeit nichts Legales zur Bekämpfung dieser Attacken bekommen. Ich musste durchhalten. Mit Allem, was dazu gehört. Also hab ich alles ausgedruckt, die Medikamentenblätter dazu genommen und bin zu meinem Arzt.
Bei diesem Termin sollte es auch nochmals um Entzug und mögliche Alternativen gehen. Ich bin einigermaßen energisch geworden und habe Nachdruck verliehen. Nach ca.10 min. hatte ich ein neues BtM-Rezept über Actiq-Sticks, 200 mg in der Hand. Musste ihm allerdings versprechen, dass ich, sollte ich starke Abhängigkeits-Symptome entwickeln, mich zu einem Entzug bereit erkläre und auch tatsächlich gehe. Mit den damaligen Informationen, war das auch okay für mich. Meine Infos waren:
- Meine Mobilität wäre durch Höherdosieren der BtM gefährdet, und ich müsste mit "längeren Krankenhausaufenthalten“ rechnen
- Meine vielen anderen Medikamente könnten kaum noch höher dosiert werden.
- Ich müsste erneut mit längeren Klinik-Aufenthalten rechnen
- Andere Medikamente stünden nicht mehr zur Verfügung
- Ein Entzug von allen Wirkstoffen und eine folgende niedrigere Dosisgabe sollten eine Verbesserung meines Schmerzbildes zur folge haben
Zwei Tage später habe ich eine durch meine Freundin und ihre Bekannten "besorgten" Termin bei einer Schmerzspezialistin in Thüringen im Uniklinikum wahrnehmen können. Frau Dr. … arbeitet mit "Endstadiumspatienten" und ganz schweren Fällen – ähnlich wie mir – direkt am Kranken. Sie sieht und erlebt (überlebt) ihre Patienten den ganzen Tag.
Mit Freude bemerkte ich sofort, dass diese Frau sich wirklich mit meinen Unterlagen beschäftigt hatte. Du kennst das sicher auch anders. Sie war erstaunt über das, was mir wiederfahren ist und sprach mehrmals von Verklagen wegen vermeidbarer Schmerzen. Eine so niedrige Dosierung nach 11 Jahren mit dieser Schmerzform sei nicht zu vertreten. Grundsätzlich gibt der Patient seine Schmerzstärke an; dem ist unbedingt Folge zu leisten.
Ich nutze 0,75 er Fentanyl-Pflaster. Sie sprach in meinem fall von einem 300-500er-Bedarf. Da sind meine Qualen kein Wunder, dabei giere ich keineswegs nach noch mehr BtM. Doch seit 11 Jahren nix zu haben gegen die Schmerzdurchbrüche … Die mir neu verordneten Actiq-Sticks hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht getestet. Ich wollte das lieber im Beisein einer anderen Person (ich wohne allein, auf`m Lande in `nem großen Haus) tun.
Also konnte ich Frau Dr. … über die Wirksamkeit dieser neuen Verordnung keine Auskunft geben. Ihre Meinung war, dass diese viel zu niedrig dosiert seien. Aber das wäre ja zu ändern. Mein Pflaster müsste aber hochdosiert werden und dann würde sich die Gabe einiger anderer Medikamente vielleicht vermeiden, wenn nicht gar erübrigen lassen. Dazu zusätzlich hochdosiertes Fentanyl gegen die Attacken.
Mein Bericht zum Thema Entzug hat sie einigermaßen überrascht. Neurophatische Schmerzformen wie bei mir bedürften meist einer lebenslangen Gabe von hochdosierten schnell wirkenden BtM. Da von Entzug zu sprechen, sei völlig unangebracht. Dieser sei nicht notwendig und käme nicht in Frage. Dem wäre unbedingt zu folgen. Ich bin überzeugt, dass dies ihre Messlatte ist und sie danach handelt. Da ich mein Restleben lang unter ärztlicher Kontrolle stehen werde – stehen muss – ist eine fortlaufende Höherdosierung bis zum Erreichen einer befriedigenden Schmerzfreiheit und damit erhöhnter LEBENSQUALITÄT nicht nur zu vertreten, sondern unbedingtes MUSS.
Selbst wenn wir davon ausgehen, dass ich zur Zeit eine befriedigende, schmerzfreie Lebensqualität haben würde, wäre eine ständige Höherdosierung – bedingt durch das Fortschreiten der Erkrankung – notwendig und sei zu vertreten. Dies gelte auch für Patienten deren Lebenserwartung noch mehr als 3 Wochen beträgt..!
Sollte nun einer der Patienten mit längerer Lebenserwartung doch länger leben und ist über das jahrzehntelange Fortschreiten der Erkrankung keine befriedigende Schmerzfreiheit mit einer Höherdosierung von z. B. Fentanyl eingetreten und/oder wegen einer eingetretenen Toleranzbildung mehr zu erreichen, sprach sie auch nicht von einen notwendig gewordenen Entzug. In diesem Fall wäre Ketamin das folgende BtM.
Erfahrungen hätten gezeigt, dass Patienten mit höchster Einstellung auf z. B. Fentanyl die geringste Dosisgabe von Ketamin zur befriedigenden Schmerzfreiheit benötigen. Das können sich die Forschenden noch nicht erklären, aber ihre Erfahrungen hätten diese günstige Umrechnung ergeben. So ist eine Behandlung stärkster neurophatischer Schmerzformen auch nach schon erfolgter höchster Dosisgabe vorheriger BtM über Jahre hinweg gewährleistet. Das sei ihre – Frau Dr. … s – Erfahrung und Überzeugung. Sie sprach von allem mit einer Selbstverständlichkeit, die mich nach diesem Termin zu Weinanfällen brachte. Ich habe mich das erste Mal seit nun über 11 Jahren Arztsuche richtig vollständig verstanden gefühlt. Du glaubst manchmal, Du wirst/bist verrückt. Den Glauben hat sie mir in nur einem Termin nehmen können. Was für eine Erleichterung. Sie hat bestätigt und bestätigt, hat mich nach den spezielleren Schmerzerlebnissen befragt und immer wieder bestätigt, dass dies auch ihre Erfahrungen seien und sie diese auch bei ihren Patienten immer wieder vorfindet. Eine Fachfrau! Sie schreibt mir einen ausführlichen Bericht an meinen Nervenarzt, und wenn ich nächste Woche bei ihm in der Sprechstunde bin, werden wir das bereden.
Nun habe ich zumindest was meine Schmerzen anbetrifft wieder etwas mehr Hoffnung. Mehr Schmerzfreiheit ist das, was ich mir seit Jahren wünsche. Mit der körperlichen Behinderung und mit meinem krankheitsbedingtem Aussehen habe ich Frieden geschlossen. Aber die Schmerzen haben mich oft an den Abgrund gebracht. Gerettet hat mich meine Verantwortung meinen Eltern, Kindern und Enkelkindern gegenüber. Richtig gelesen. Vor 3 Wochen bin ich zum zweiten mal glücklicher Großvater einer Enkeltochter geworden. Das bringt mich wieder dazu die Qualen doch auszustehen und nicht den mir zustehenden Übergang zu schmerzfreiem „Da/weg-Sein“ zu wählen. Ich hoffe jetzt doch wieder auf mehr Schmerzfreiheit und damit wieder auf mehr Lebensqualität und Freude. In Bezug auf meine ausstehende Verhandlung wegen Cannabisgebrauchs macht mir der neuerliche Freispruch eines Medizinalhanfgebrauchers Mut. Du wirst sicher davon gehört haben.
Ich weiß durch eigene Erfahrung vor Gericht, dass – selbst dann, wenn dir nichts mehr "vorgeworfen" werden kann – du doch immer in gewisser Weise verlierst.
Nachtrag:
Mach Abwarten von zwei Wochen zum Schreiben, Versenden, Empfangen und "Verarbeiten" der Post der Ärztin aus Thüringen. an meinen Nervenarzt wollte ich mich bei diesem vorstellen. Außerdem ging es ja um die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der mir neu verschriebenen Actiq-Sticks.
Da sie nicht ausreichend wirken, wollte ich auch über ein notwendiges Höherdosieren dieser – und meines Pflasters sprechen.
Es ging um vermeidbare Schmerzen.
Leider ist mein Arzt, ohne dass er mir den/einen Tip gegeben hätte nun für Wochen nicht da. An der Anmeldung wurde mir gesagt, ich solle bei einer anderen – mit im Haus sitzenden Ärztin vorsprechen. Dieses Vergnügen hatte ich aber bereits und habe mir dann für die Sticks (wieder 200 mg) ein BtM-Rezept ausschreiben lassen. War ein Weg dieser Frau nicht zu begegnen. Sie hatte bereits bei einem früheren Besuch die Höhe der Dosierung meines Dronabinols (2×15-20 tropfen) bemängelt und meinte, "dass wir uns da mal was einfallen lassen müssen …". Daraufhin sind wir verbal aneinander geraten.
Nun darf ich auf meinen neuen Termin bis zum 13.10.08 warten. Auch wenn ja die Option besteht, in besonders schlimmen Situationen bei einem anderem Arzt/Ärztin vorsprechen zu können, ist das gelinde gesagt UNMÖGLICH.
Aufrufe: 83