„SATIVEX“ – schillernde Seifenblase mit „PLOP-Faktor“


Es ist gar nicht lange her, da ließ sich unsere Bundesregierung von der gesamten deutschen Presse mit der überraschend anmutenden Neuigkeit feiern, sie werde nunmehr Patienten ermöglichen, Cannabis legal als Medizin zu verwenden. Es werde 2011 ein erstattungsfähiges Medikament auf den Mark kommen.

"Cannabis bald aus der Apotheke" oder "Koalition erlaubt Cannabis auf Rezept" lauteten die vollmundigen Schlagzeilen noch im Sommer des vergangenen Jahres. Inzwischen wird jedoch deutlich, dass mit der Markt-Einführung des pharmazeutischen Fertigpräparats Sativex die Mehrzahl aller Patienten, die generell von pflanzlichem Cannabis profitieren könnten, bei diesem Medikament aus der Retorte das Nachsehen haben. Denn Sativex ist bislang lediglich zur Therapie der mittelschweren bis schweren Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen. Neben der Reduktion der Spastik ergeben sich positive Effekte für Tremor, Schlaf und Mobilität.

Die Dosierungsempfehlung für Sativex lautet auf 8 bis maximal 12 Sprühstöße (Hübe) täglich, was bei einem Abgabepreis von 153 € für eine Menge von insgesamt 90 Sprühstößen* (*Zahlenangaben aus der Schweiz) einem Einzelsprühstoß-Preis von 1.54 € entspricht. Auf den Tag gerechnet also zwischen 12,- und 18,- € . Wer demnach täglich 12 „Hübe“ benötigt, kommt ca. 7, 5 Tage lang mit einem Fläschchen aus.

Auf ein Jahr gesehen kommen so um die 6.700 € an Kosten für den Patienten zusammen. Für einen einzelnen Patienten. Hierzulande wird  Sativex allerdings zum Apo-Preis von 607,66 € pro Verkaufseinheit gehandelt.

Die Kasse zahlt. Meckern verbietet sich. Auch wenn sich mit einem Jahres-Budget von mindestens 6.700 Euro bequem die Ausstattung einer ausreichend großen Hanfplantage finanzieren ließe, aus der gleich mehrere MS-Patienten ihren gesundheitlichen Profit ziehen könnten. Selbst diejenigen, die vorerst nur mit leichter Spastik kämpfen.

Für alle übrigen HIV/AIDS- oder Krebskranken, Menschen mit Hepatitis C, Alkohol- oder Opiat- Abhängigkeit, mit Tourette-Syndrom, Glaukom, Schmerzsymptomatiken oder ADHS, mit ALS, Migräne oder Cluster-Kopfschmerz, mit Morbus Crohn, Fibromyalgie, Allergien, Asthma oder mit Epilepsie u.v.a.m. kommt eine Behandlung mit Sativex jedoch nicht in Betracht.

Für jene verbleibt schließlich nur noch die Therapie mit pflanzlichem Cannabis, wenn dieser nicht zunächst die hochschwellige und zeitaufwändige Überwindung der schikanös errichteten bürokratischen Hürden des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorausginge.

Das Antragsverfahren auf eine so genannte „Ausnahmegenehmigung zur ärztlich überwachten Eigentherapie mit Cannabis-Blüten“ („Bedrocan flos“) ist langwierig, kostenpflichtig und an nahezu unzumutbare Bedingungen geknüpft. So etwa an die Voraussetzung, dass der Antragsteller zuvor jedes andere verfügbare, pharmazeutisch hergestellte Medikament ausprobiert haben muss. Diese der Medizin-Ethik widersprechenden Medikamentenversuche mit all ihren in Kauf zu nehmenden – quasi aufgenötigten – Nebenwirkungen, die dem Grundatz „nihil nocere“ (niemand darf durch die Behandlung in seiner Gesundheit geschädigt werden) geradezu Hohn sprechen – diese Versuche müssen überdies vom Arzt dokumentiert – und schriftlich als nicht positiv für den weiteren Behandlungsverlauf bestätigt sein. Nach einem solchen Kreuzgang durch die Gefilde pharmazeutischer Präparate mit geringen Erfolgsaussichten kann die klinische Abteilung des BfArM dann ihr Okay geben. Oftmals tut sie es aber nicht. In der Regel werden mehr Anträge abgewiesen als positiv beschieden.

Als Inhaber einer derart beantragten Genehmigung muss der Patient dann die für ihn wirksamste Sorte von insgesamt vier aus den Niederlanden importierten Blüten-Varietäten ausfindig machen. Im schlechtesten Fall bedeutet dies, dass ein schlecht informierter Kranker erst einmal an drei Sorten scheitert, bis er durch weitere Selbstversuche die  Wirkstoffgehalt-Kombination ausfindig macht, die ihm am meisten Linderung verschafft.

Daneben wird Bedrocan-Cannabis in deutschen Apotheken zu aufgeblähten Gramm-Preisen von durchschnittlich 14 – 16 € verkauft. Doppelt so teuer wie in niederländischen Apotheken und auch doppelt so teuer wie Cannabis vom Schwarzmarkt. Von diesen Kosten, die je nach Höhe des individuellen Tagesbedarfs mehrere Hundert Euro monatlich betragen können, wird allerdings von den Kassen nichts erstattet.

Somit scheinen die Patientenbemühungen um eine Besserung des Gesundheitszustandes, Steigerung von Wohlbefinden und Lebensqualität oder ggf. sogar Wiedereinstieg in Berufsleben und Re-Integration in den sozialen Alltag, weder für unseren Gesundheitsminister, noch für viele unserer Krankenkassen von übermäßigem Wert zu sein.

Auch Dronabinol, ein aufwändig aus Faserhanf gewonnenes THC-Präparat, das bei vielen Erkrankungen und Schmerzsymptomatiken gut hilft, wird – bis auf wenige Ausnahmen durch private Kassen – nicht erstattet. Dronabinol ist ebenfalls teuer und kann – sofern es das einzige Mittel der Wahl ist – den Patienten ebenso in den finanziellen Ruin treiben wie die Nutznießer von Bedrocan-Produkten. Mehrere Hundert Euro an monatlichen Kosten sind auch bei diesem pharmakologisch reduzierten Präparat eher die Regel denn die Ausnahme.

Die gesetzlichen Kassenvereinigungen und der so genannte „G-BA“ (Gemeinsamer Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland) zeigen sich aber in der Erstattungsfrage von Dronabinol-Rezepturen oder verordneter Cannabisblüten seit Jahren einheitlich ignorant sowie untätig.

Apropos „untätig…“:

Unser Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zeigt sich für derart moralisch fragwürdige und einer "guten" Gesundheitsreform zuwiderlaufenden Cannabismedizin-Erstattungsfragen nicht zuständig. Vermutlich ist ihm diese Debatte genau darum peinlich, weil er selbst noch vor 10 Jahren als Oppositionssprecher der Jungen Liberalen mit der provozierenden Forderung „ Lieber bekifft ficken – als besoffen Auto fahren“ an die Öffentlichkeit getreten ist und nun das heiße Thema meidet, damit seine – und die Reputation der FDP – nicht vollends den Bach runtergeht. Unsere Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP), aus deren Munde man sich einen derartig anmutenden Slogan nicht einmal im Traum vorstellen kann, beteuert seit ihrem Amtsantritt zwar auch unablässig, dass sie sich für die medizinische Verwendung von Cannabis-Arzneimitteln einsetze, doch die bisherigen Resultate ihrer angeblichen Bemühungen spiegeln bloß die traurige Realität für medizinische Cannabisnutzer in Deutschland wider: Diese triste Realität resultiert in der quasi erzwungenen Patienten-Selbstversorgung mit ungeprüften Schwarzmarktsorten sowie dem daneben ständig gegenwärtigen Strafverfolgungsdruck einerseits – oder der Möglichkeit des unausweichlichen finanziellen Bankrotts wegen zu hoher Cannabisprodukt-Preise andererseits.

Obgleich die Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministeriums in Sachen Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken durchaus gegeben ist. (Diese Zuständigkeit dürfte durch das Veto gegen den vom BfArM fast genehmigten Eigenanbau-Antrag des schwer an MS erkrankten Patienten Michael Fischer belegt sein.)

Somit sind Herr Bahr und Frau Dyckmans gefordert anzuerkennen, dass Sativex nur für einige Wenige in Betracht kommt, während für eine sehr viel höhere Zahl von Kranken die Eigenanbau-Variante die einzig mögliche Option bleibt, sofern sie ihrer Gesundheit zuliebe nicht an den überteuerten Produktpreisen für Donabinol bzw. Import-Cannabis oder an der restriktiv ausgeübten Praxis des BfArM-Antragsverfahrens vor die Hunde gehen wollen. 

Sativex bleibt eine schillernde Seifenblase. „Plop-Faktor“ inklusive…wenn auch erstattet. Indes hat sich schon jüngst zur Markteinführung zeigen dürfen, dass auch die Budget-Regelung unserer Gesundheitsreform nachhaltig greift: Welcher Arzt das neue Präparat Sativex auch wirklich verschreibt, dürfte unter Betroffenen schon bald als Geheimtipp gehandelt werden.

Der Cannabis nutzende Patient hat in unserem Land demnach die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Eine Wahl zwischen Bahr und Dyckmans hat man indes nicht.

Axel Junker
 

 

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