Die Geschichte von der Schmerzschwelle, dem Craving und der bösen Rauschgrenze

Im öffentlichen und dem medialen Kontext kennt man, was eigentlich der Werbeindustrie überlassen bleiben sollte, diesen Druck, dem einige erliegen, zur Untermauerung ihrer Argumentation sich interessante Wörtlein auszudenken oder diese für den argumentativen Nutzen abzuwandeln.

Im Rahmen eines parlamentarischen Frühstücks mit dem Fokus auf der patientengerechten Versorgung, erlebten wir interessante Impulsvorträge von Ärzten und Apothekern. Detailreich erzählten diese aus ihrer Praxis und schilderten die Hürden, die der Versorgung ihrer Patienten mit Cannabisarzneimitteln oft im Wege stehen.

Das Leid dieser Patienten wurde anhand exemplarischer Fallbeispiele deutlich gemacht, wie auch die Wichtigkeit angemessener und vor allem zeitiger(!) Versorgung. Es ging um die gute Wirkung von Cannabisarzneimitteln auch bei seltenen schweren Krankheiten und wie schwierig Medizinern die Behandlung hiermit gestaltet wird.

Nun aber geschah es, dass ein Vertreter einer Krankenkasse in seiner Argumentation, nachdem es in einem Beitrag zuvor auch um Dosisfindung und Toleranzschwelle ging, das Wort Rauschgrenze verwendete. Ein Wort, das so neu wie eine unbekannte Tierart erschien – und dessen Verwendung doch in eigentlich ganz anderem Kontext gebräuchlich ist.

Kann man ja mal machen.

Seine Aussage lautete in etwa so, dass eine hohe Anzahl von Anträgen auf Kostenübernahme, denken kann der mit der Materie befasste Zuhörer hier gerade an solche Patienten mit dem Bedarf nach hoher Dosierung und an Applikationsmethoden mit schneller Anflutung, von Patienten gestellt würde, deren Intention weniger die Symptombekämpfung als eben ein unverschämtes Überschreitenwollen dieser fabulierten Rauschgrenze sei.

Weniger feinfühlige Menschen mit weniger taktischem Geschick hätten vielleicht auch einfach nur: “weil sie an Stoff kommen wollen” gesagt. An dieser Stelle hatten die anwesenden Vertreter des SCM fast ihr Frühstück verschluckt, so humoristisch aber auch unverschämt erschien dieser Vorwurf, aus dem so vieles troff. Und auch die anwesenden Mediziner und Apotheker, die aus der Praxis wissen, wie sinnlos es ist, dem Schmerz mit zu gering gewählten Dosen hinterher zu therapieren, und die die Ablehnungspraxis des MDK aus eigener Erfahrung kennen, sahen in dieser Aussage offenbar weniger Sinn. Es steht wohl kaum in Frage, dass solch ein Vorwurf gegenüber leidenden Menschen so ungefähr das Gegenteil von patientengerechter Versorgung darstellt.

Als sei es das einzige Begehren schwerkranker Menschen, sich auf Kassenkosten sprichwörtlich zuzuballern. Und als hätten Cannabisarzneimittel bei gut eingestellten Patienten überhaupt eine solche narkotische Wirkung, die ohnehin eher von Menschen unterstellt wird, die über keine Substanzerfahrung verfügen. Die Vorstellung von einer nicht zu überschreitenden Rauschgrenze sollte ohnehin ins Märchenreich verbannt werden, wo sie gemeinsam mit dem Psychoseargument alt werden darf. Es erscheint ja auch logisch, dass Leute die Tortur von Arztsuche und Antragsstellung auf sich nehmen, um an ein wenig Cannabis zu kommen – denn es gibt es einen sehr gut funktionierenden Schwarzmarkt. Dort muss nicht mühsam ein verschreibender Arzt gesucht und auch keine Kostenübernahme beantragt werden. Nebenbei finden wir es unangenehm, dass Ärzte in ihrer Therapiehoheit eingeschränkt werden und ihnen unterstellt wird, Erfüllungsgehilfe des Rauschs ihrer Patienten zu sein.

Dass dieses ideologische Argument von Vertretern der Krankenkassen wirklich verwandt wird, dies zeigt einzig deren Hilflosigkeit. Natürlich nehmen Patienten den schweren Weg chronischer Erkrankung und Leids auf sich, einfach nur, um den bitterarmen Krankenkassen Kosten zu verursachen und Ärzte zu nerven.

Gerade einem Menschen mit chronischen Schmerzen, dem sehr an einem Hochziehen seiner individuellen Schmerzschwelle gelegen ist, kommt diese stigmatisierende Unterstellung nicht nur unverschämt, sondern auch widersinnig vor. Patienten, die mittels Cannabis auch Craving therapieren, können und sollten darüber lachen, statt sich verletzen zu lassen. Es wirkt wie ein Relikt der Prohibition – Patienten sollen Cannabis nutzen dürfen, aber die Grenze zum verbotenenen Rausch soll nicht überschritten werden. Und eigentlich sind Patienten doch ohnehin nur verkappte Cannabiskonsumenten, so der ewig schwelende Vorwurf.

Wenn Menschen pauschal aufgrund ihrer benötigten Dosierung eines jeweiligen Medikaments Rauschabsicht unterstellt wird, ist das schlimm. Macht dies diejenige Institution, die die Kosten jenes Medikaments tragen muss, quasi aus Gewohnheit, gestützt durch Schreibtischgutachten des MDK, auf denen man sich scheinbar auch ausruht (gesetzlich betrachtet ausruhen muss), so wurde hieran einmal wieder deutlich, dass der Genehmigungsvorbehalt weg muss.

Weiterhin muss Cannabis extrabudgetär behandelt werden. Denn wenn Mediziner sich aufgrund solcher kassenseitiger Vorwürfe zum Beispiel aus Furcht vor Regress nicht trauen, benötigte Dosen anzupassen, dann muss das von Seiten des Gesetzgebers bedacht und gegengesteuert werden.

Normalerweise wird von Schmerzmedizinern durch Dosissteigerung oder Rotation von Medikamenten die Wirksamkeit bezüglich der Schmerzschwelle bei z.B. schwindender Wirkung aufgrund von Gewöhnungseffekten sichergestellt. Dass diese Wechsel oder Steigerungen gerade bei Cannabis oft nur vorsichtig vorgenommen werden oder gänzlich ausbleiben, ist ein den Therapieerfolg gefährdendes Unding, unter dem viele Patienten leiden.

Die Patientenvertreter des SCM wiesen darauf hin, wie altbacken, unlogisch und stigmatisierend dieser Vorwurf ist, sprachen die individuelle Notwendigkeit hoher Dosierung an und dass bei vielen Erkrankungen ein häufiges und schnelles Anfluten erwünscht ist. Angesichts der “hohen Kosten”, die in Zusammenhang mit dem angeblichen Übertreten eingebildeter Rauschgrenzen genannt wurden, riefen die Vertreter des SCM ins Bewusstsein, dass individuelle Gesundheit mitunter etwas kosten dürfe und auch sollte, die Volksgesundheit sowieso. Etwas, was glücklicherweise weitgehender Konsens unter den in dieser Runde anwesenden Fachleuten und Politikern war.

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