Bundesverfassungsgericht erlaubt Patienten unter bestimmten Voraussetzungen, Cannabis in der eigenen Wohnung selbst anzubauen

Cannabispflanzen, die von Schwerkranken zur Selbsttherapie in den eigenen vier Wänden angebaut werden, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen nicht von der Polizei beschlagnahmt werden. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem wegweisenden Beschluss (AZ: 2 BvR 1694/14) über die Verfassungsmäßigkeit der Hausdurchsuchung bei einem Schmerzpatienten aus Hessen. Frank-Josef Ackerman hatte aufgrund seines schweren Leidens im Juni 2013 von der Bundesopiumstelle eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten in der Apotheke erhalten.

Wegen seiner geringen finanziellen Mittel war er jedoch nicht in der Lage, seinen täglichen Bedarf an Cannabis auf legale Weise zu decken und begann deshalb, Cannabis selbst anzubauen. Dies teilte er der Staatsanwaltschaft durch ein Schreiben seines behandelnden Arztes Franjo Grotenhermen mit. Er bat darin um eine Prüfung, ob von Strafverfolgungsmaßnahmen abgesehen werden könne und ob eine Notstandssituation vorliege. Eine Beschlagnahme der Cannabisblüten würde einen schweren Eingriff in seine gesundheitliche Situation bedeuten.

Das Amtsgericht Darmstadt ordnete dennoch im Januar 2014 die Durchsuchung seiner Wohnung sowie die Beschlagnahme eventueller Beweismittel an. In einer verschlossenen Abstellkammer wurden 21 Cannabispflanzen aufgefunden und sichergestellt. Das Landgericht Darmstadt wies die Beschwerde von Herrn Ackerman gegen die Beschlagnahme zurück, wogegen der Patient
Beschwerde vor dem höchsten deutschen Gericht einlegte.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschied nun einstimmig, dass die Beschlüsse der Darmstädter Gerichte den Beschwerdeführer in seinem Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes verletzt habe. Sie hob den Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom Juni 2014 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

In seinem Beschluss, der heute bekannt wurde, stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine Durchsuchung in die im Grundgesetz garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung “schwerwiegend” eingreift. Im konkreten Fall kritisiert der Zweite Senat, dass die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme unverhältnismäßig gewesen seien: “Das Amtsgericht verzichtet in der Durchsuchungsanordnung auf jede einzelfallbezogene Begründung seiner Entscheidung, obwohl die besondere gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers, seine Mittellosigkeit, die einer angemessenen und ärztlich indizierten Therapie entgegensteht, und seine Selbstanzeige hierzu Anlass gegeben hätten. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung fehlt vollständig. (…) Die Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts sowie der diese bestätigende Beschluss des Landgerichts sind danach ebenfalls verfassungswidrig.”

“Dieser Beschluss ist eine gute Nachricht für alle Patienten, die sich eine Therapie mit Cannabisprodukten finanziell nicht leisten können und daher gezwungen sind, sich ihr Medikament illegal zu beschaffen”, erklärte Grotenhermen, der zudem Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. ist. “Diese Entscheidung erhöht auch den Druck auf die Politik , eine ausreichende medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Cannabisprodukten sicherzustellen. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Juli 2014 (AZ: 7 K 4020/12), wonach die Bundesopiumstelle in bestimmten Fällen eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau erlauben muss, hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine weitere schallende Ohrfeige für seine Untätigkeit verpasst.”

“Ich freue mich sehr, dass der große Mut von Herrn Ackerman zur Selbstanzeige letztlich belohnt wurde. Ich hatte gehofft, dass bereits niedrigere gerichtliche Instanzen wie Amtsgericht oder Landgericht entsprechend der Schwere seiner Erkrankung angemessen gehandelt hätten”, erklärte Grotenhermen weiter. “Der Vorteil einer gewonnenen Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht besteht allerdings in der bundesweiten Bedeutung. Der Vorstand der ACM wird nun zusammen mit Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der Herrn Ackerman herausragend vertreten hat, sowie betroffenen Patienten überlegen, ob Selbstanzeigen ein probates Mittel darstellen, um den Eigenanbau durch schwerkranke Patienten durchzusetzen und damit auch weniger vermögenden Bundesbürgern eine ausreichende Therapie mit Cannabisprodukten zu ermöglichen.“
(aus ACM-Mitteilungen vom 28. Februar 2015)

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