Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Bundesopiumstelle
Herrn Dr. Schinkel
Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3
53175 Bonn
nachrichtlich:
- Sabine Bätzing, MdB, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
- Hubert Hüppe, MdB, Drogenpolitischer Sprecher, CDU/CSU-Fraktion
- Monika Knoche, MdB, Drogenpolitische Sprecherin, Fraktion Die Linke
- Detlef Parr, MdB, Drogenpolitischer Sprecher, FDP-Fraktion
- Dr. Harald Terpe, MdB, Drogenpolitischer Sprecher, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
3. Juli 2007
Anträge auf eine Ausnahmegenehmigung zur Verwendung von Cannabis durch Patienten nach § 3 BtMG
Sehr geehrter Herr Dr. Schinkel,
ich freue mich, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einigen Fällen grundsätzlich anerkannt hat, dass einzelne Patienten mit den zur Verfügung stehenden Behandlungsverfahren nicht ausreichend therapiert sind und eine Behandlung mit Cannabis indiziert ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Aspekte hinweisen. Der eine betrifft die Standardisierung der verwendeten Cannabispräparate, der zweite die Aufbewahrung von Cannabisprodukten in Apotheken.
Gemäß Ihrem Schreiben vom 25. Juni 2007 an Frau Gabriele Gebhardt, Sprecherin des Selbsthilfenetzwerkes Cannabis-Medizin, lehnen Sie die Verwendung von Cannabis der niederländischen Firma Bedrocan, die im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums Cannabis medizinischer Qualität für die Abgabe in niederländischen Apotheken herstellt, ab, weil "der THC-Gehalt im Gegensatz zu einem standardisierten Extrakt in erheblich größerem Ausmaß (bis zu 5%) variiert".
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diese Aussage nur zutrifft, wenn der Extrakt von der Apotheke korrekt zubereitet wurde. Die Schwankungsbreite der in deutschen Apotheken abgegebenen Dronabinol-Rezepturarzneimittel ist im Einzelfall deutlich größer als 5%. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin hat nach Beschwerden von Patienten über eine mangelnde Wirksamkeit einer Dronabinol-Zubereitung trotz bekannter Wirksamkeit früherer Zubereitungen im Jahr 2003 am Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln eine Probe analysieren lassen. Die Konzentration wich erheblich vom angegebenen Gehalt nach unten ab.
Delta-9-THC ist eine recht instabile Substanz und oxidiert leicht, beispielsweise wenn sie bei der Zubereitung zu stark erhitzt wird. Diese Problematik hält an, wie ich von einer Schmerzpatientin vor einigen Wochen erfahren habe. Ich möchte allerdings betonen, dass die meisten Apotheken die Rezepturarzneimittel vermutlich zuverlässig herstellen, das heißt mit einer Variabilität der THC-Konzentrationen von maximal 5%, da es nicht viele Beschwerden gibt.
Im Rahmen einer Therapie mit Dronabinol bzw. Cannabis muss stets empirisch die für den Patienten individuell geeignete Dosis gefunden werden, und auch während der Behandlung in der Regel ständig an die aktuellen Beschwerden angepasst werden. Es ist daher unerheblich, ob das Präparat 5% mehr oder weniger Wirkstoff enthält. Sowohl Arzt als auch Patient wissen vor der Behandlung ohnehin nicht, ob 10 ± 1 Tropfen Dronabinol ausreichen, oder ob es 15 ± 1 Tropfen sein müssen.
Eine Schwankungsbreite von 5% ist ein für Phytoarzneimittel akzeptierter Standard und wird auch beispielsweise f+r den Cannabisextrakt Cannador akzeptiert. Die Variation wird auch bei bei einigen chemischen Arzneimitteln akzeptiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Sie diese Variabilität bei Cannabis der Firma Bedrocan als problematisch bzw. als nicht tolerabel erachten.
Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass angesichts der erheblichen Variabilität der systemischen Bioverfügbarkeit von Dronabinol bei oraler Aufnahme von mehr als 100% eine Variabilität in der THC-Konzentration des verwendeten Produktes von 5% nicht relevant ins Gewicht fällt. Die interindividuelle Variabilität der systemischen Bioverfügbarkeit betrug in einer Studie von Ohlsson et al. (1980) 4-12% (Mittelwert: 6%) und in der Untersuchung von Sporkert et al. (2001) 2-14% (Mittelwert: 7%). Da die systemische Bioverfügbarkeit offenbar durch eine Anzahl von Faktoren, wie beispielsweise der Magenfüllung, abhängt, besteht zudem eine relevante intraindividuelle Variabilität.
Zur Herstellung eines Cannabisextraktes in Apotheken möchte ich anmerken, dass Sie einem Antragsteller, der seine Apotheke mit der Lagerung seines selbst angebauten Cannabis betrauen wollte, geantwortet haben: "Auch die von Ihnen beschriebene Option, eine Apotheke mit der Lagerung zu beauftragen, ist nicht praktikabel, da Apotheken keine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln haben." Nach den Schreiben an Patienten vom 5. und 6. Juni 2007, in denen Sie die Verwendung eines Cannabisextraktes, der in Apotheken hergestellt werden soll, in Aussicht gestellt haben, können Apotheken offenbar eine Genehmigung zum Erwerb und damit auch zur Lagerung von Cannabis erhalten. Ihre Aussage in dem Schreiben an die Patienten ist daher zwar formal korrekt, es wäre jedoch seriös gewesen, bereits den erstgenannten Antragsteller auf die Möglichkeit einer entsprechenden Genehmigung hinzuweisen.
Abschließend möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, bei dem sich das BfArM zwar ebenfalls formal korrekt verhalten mag – dies wird juristisch zu klären sein -, jedoch zumindest inhaltlich (pharmakologisch/medizinisch) ein absurdes Bild entsteht. An die Aufbewahrung einer verschreibungsfähigen Dronabinol-Lösung stellt das BfArM keine speziellen Anforderungen, an die Aufbewahrung eines auf Dronabinol standardisierten Cannabisextraktes stellen Sie jedoch die Anforderung einer Lagerung in einem verankerten Behältnis mit Sicherheitsschloss, die dem "Gefährdungsgrad" (Ihr Schreiben vom 25. Juni 2007) Rechnung trage. Da die Mischung einer Dronabinol-Lösung mit einem Extrakt aus Faserhanf in der Zusammensetzung weitgehend dem eines auf Dronabinol standardisierten Cannabisextraktes entspricht und Tee aus Faserhanf zur Anfertigung eines solchen Extraktes in Deutschland frei verkäuflich ist, trägt diese Anforderung absurde Züge.
Sie können zurecht darauf hinweisen, dass die unterschiedliche juristische Bewertung der beiden Cannabisextrakte nicht Ihnen angelastet werden kann, sondern der Logik des Betäubungsmittelgesetzes entspricht, nach der der eine Extrakt, der aus Dronabinol-reichem Hanf, der Anlage 1, der aus Faserhanf und Dronabinol erstellte Extrakt jedoch der Anlage 3 zuzuordnen ist. Bei pharmakologisch identischer Wirkung ist der eine Extrakt daher paragraphengemäß gefährlicher als der andere. Das deutsche Betäubungsmittelgesetz definiert ja schließlich auch, dass Cannabis gefährlicher ist als Opium, so dass die Verwendung eines Cannabisextraktes einer Ausnahmegenehmigung durch das BfArM und nach Ihrer Auffassung einer besonderen Lagerung bedarf, während Opiumtinktur von jedem Arzt verschrieben werden und vom Patienten im Kühlschrank aufbewahrt werden kann. Sie können zurecht darauf hinweisen, dass Sie mit dieser absurden Logik nichts zu tun haben, sondern der Gesetzgeber bzw. das Bundesgesundheitsministerium dafÃür verantwortlich ist. Im Rahmen Ihres Ermessensspielraumes wäre es jedoch wünschenswert, dass nicht nur eine Anwendung der entsprechenden Paragraphen des Betäubungsmittelgesetzes erfolgt, sondern dass diese Anwendung auch aus medizinischer Sicht nachvollziehbar bleibt.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das BfArM sich im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium auf eine bestimmte Linie – Abgabe einer oder mehrerer Cannabisextrakte durch Apotheker – geeinigt hat und mögliche Alternativen mit einer zum Teil widersprüchlichen und damit willkürlichen Argumentation ablehnt. Dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des Instituts im Umgang mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 19. Mai 2005 bei.
Ich wünschte mir, das BfArM würde seinen Entscheidungsspielraum mehr zur individuellen Hilfe betroffener Patienten, die von Cannabis gesundheitlich profitieren, und weniger zur Durchsetzung einer – so hat es nicht nur aufgrund der oben skizzierten Gründe den Anschein – nicht medizinisch motivierten Linie nutzen. Diese Linie mag in vielen Fälen mit dem Patienteninteresse übereinstimmen, ihm in vielen anderen Fällen jedoch zuwiderlaufen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Franjo Grotenhermen
Vorstandsvorsitzender
Zitierte Literatur:
1. Ohlsson A, Lindgren JE, Wahlen A, Agurell S, Hollister LE, Gillespie HK. Plasma delta-9 tetrahydrocannabinol concentrations and clinical effects after oral and intravenous administration and smoking. Clin Pharmacol Ther 1980; 28(3): 409-16
2. Sporkert F, Pragst F, Ploner CJ, Tschirch A, Stadelmann AM. Pharmacokinetic investigation of delta-9-tetrahydrocannabinol and its metabolites after single administration of 10 mg Marinol in attendance of a psychiatric study with 17 volunteers. Poster at the 39th Annual International Meeting, The International Association of Forensic Toxicologists, Prague, Czech Republic, August 26 – 30, 2001: 62
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