Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Vor einem Jahr hatten einige Mitglieder des SCM einen Antrag auf gemeinsamen Anbau gestellt, um so die Auflagen zu erfüllen, die das BfArM den Patienten als Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung für den Anbau zur Eigenversorgung mit Cannabis gemacht hatte.

Wir wollten so verhindern, dass jeder Antrag per se an diesen Auflagen scheitert, die der Gesetzesgeber nicht für bedürftige Patienten sondern kommerzielle und wissenschaftliche Betriebe vorgeschrieben hat.

Wir wollten aber auch, dass Patienten, die nicht selbst anbauen können, eine Möglichkeit der Versorgung haben.

Voraussetzung dafür, ein Konzept für diesen gemeinsamen Anbau zu entwickeln, wäre gewesen, dass wir wissen, wieviele Patienten eine Ausnehmegenehmigung zur Selbstversorgung mit Cannabis bekommen.

Bisher hat kein einziger Patient diese Genehmigung. Die Handvoll Patienten, die vom BfArM keinen Ablehnungsbescheid bekamen, bekommen den Extrakt oder befinden sich dagegen im Widerspruchsverfahren.

Da unser Antrag auf einen vom BfArM genehmigten Gemeinschaftsanbau deshalb z.Z. keine Chance hat, haben wir ihn zurückgezogen. Die 460 € Ablehnungsgebühren können wir anders effektiver gebrauchen. Wir halten uns aber vor, mit einem neuen Konzept wieder zu kommen.

Der Briefwechsel zwischen uns und dem BfArM, der dieser Entscheidung vorausging, ist insofern sehr interessant, als er bestätigt, dass es keine Verfahrensregelung für die Versorgung der Patienten gibt, die Cannabis benötigen.

Dr. Schinkels Standpunkt, eine Umstufung sei nicht zielführend, ist nicht korrekt. Eine Umstufung würde die Preise deutlich senken, und Krankenkassen daher eher bereit sein, die Kosten tragen.

Der Ratschlag an schwerkranke Patienten, die Pharmaindustrie auf Trab zu bringen, ist nicht nur ein politisches Armutszeugnis, sondern bedeutet- wenn schon nicht “Verhöhnung” – dann zumindest doch die völlige Ignoranz der realen Situation betroffener Patienten.
Einen nachfolgenden Wink an die Politik hätte den Lernprozess, den man auch aus Dr. Schinkels Brief schließen kann, für uns sehr viel glaubhafter gemacht.

Der Briefwechsel:

Von: Wilhelm Schinkel
Gesendet: Montag, 25. Februar 2008 11:01
An: SCM
Betreff: Antw: Gesch.Z: 82-4546279-46/07

Sehr geehrte Frau Gebhardt,

ich stimme Ihnen zu, dass die vom BVerwG eröffnete Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Patienten zu therapeutischen Zwecken keine befriedigende Lösung ist.

Dieses Instrument war vom Gesetzgeber nicht dazu vorgesehen, um Patienten ohne Ärztliche Verschreibung mit hochwirksamen und betäubungsmittelrechtlich nicht verkehrsfähigen Stoffen zu versorgen. Infolgedessen ist das ganze Regelungskonzept des BtMG nicht darauf abgestellt, was Beantragung und Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr für den einzelnen Patienten und auch alle anderen Beteiligten äußerst mühsam und aufwendig gestaltet.

Wie die Praxis der Krankenkassen, die sich auf Urteile des Bundessozialgerichtes stützt, im Hinblick auf die häufige Ablehnung einer Kostenübernahme zeigt, ist die betäubungsmittelrechtliche Umstufung von Cannabis bzw. Cannabisextrakt allein keine Lösung für die Problematik. Der Gesetzgeber hat ja bereits seit Jahren Dronabinol verschreibungsfähig gemacht und jede Apotheke kann inzwischen daraus innerhalb kurzer Zeit Rezepturarzneimittel herstellen. Aufgrund der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung und der deshalb nicht von jeder Krankenkasse übernommenen Kosten ist das Arzneimittel jedoch für viele Patienten nicht erschwinglich.

Die Zulassung von Arzneimitteln auf Basis eines Cannabisextraktes würde jedoch beide Probleme lösen können. Wenn sich im Rahmen des Zulassungsantrages anhand der einzureichenden Unterlagen eine arzneimittelrechtliche Genehmigungsfähigkeit herausstellen sollte, hätte der Gesetzgeber endlich Material in der Hand, die ihm die Entscheidung über eine betäubungsmittelrechtliche Umstufung erleichtern würde.

Ihr Engagement im Hinblick auf eine Motivierung von Pharmafirmen, einen Zulassungsantrag zu stellen, könnte sicher hilfreich sein, um diese Entwicklung zu beschleunigen.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Dr. Schinkel

Bundesopiumstelle

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn
Das BfArM ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

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>>> “SCM” 11.02.2008 15:46 >>>

Sehr geehrter Dr. Schinkel

Bevor wir uns endgütig entscheiden, wie wir mit unserem gemeinsamen Antrag verfahren,möchte ich Sie fragen, welche Möglichkeiten Sie sehen, damit eine ausreichende Versorgung aller Patienten, die von Cannabis medizinisch profitieren, legal möglich wird?

Ich gehe davon aus, dass auch Ihnen klar ist, dass es sich hierbei umweitaus mehr Patienten handelt, als die Handvoll, denen jetzt der Extrakt genehmigt wurde.

Im Zusammenhang mit der Verweigerung der Kassen die Kosten für Dronabinol zu übernehmen, haben ja Sie selbst schon von “unethisch” gesprochen, in einem anderen Fall bekommen Sie gerade hautnah mit, wie schwer es für Patienten ist, selbst nur die Verweigerung der Kostenübernahme schriftlich in die Hand zu bekommen und damit eine der vielen Voraussetzung für eine Genehmigung zu erfüllen.

Ich denke, auch in die fast paranoide Haltung die manche Ärzte daran hindert, ihre Patienten auf diesem Weg angemessen  zu unterstützen, konnten Sie etwas Einblick bekommen haben.

Ich erlebe Tag für Tag das Elend vieler Patienten, die verzweifelt nach Hilfe rufen, weil sie sich nicht einmal mehr illegal versorgen können.

Weil Sie keine Kontakte in die entsprechenden Scenen haben, weil Cannabis auf dem Schwarzmarkt inzwischen mit allem Möglichen bis hin zu Blei gestreckt wird und die Hanfapotheke als äußerstes Nothilfeprojekt ebenfalls nicht mehr funktiert.

Von den 45 Mitglieder haben in dem einen Jahr seit Gründung des SCM 2 Patienten wegen ihrer illegalen Medikamentierung in Untersuchungshaft gesessen, einer befindet sich im Gefängniskrankenhaus und  4 weitere haben eine Hausdurchsuchung erlebt.

Herr Dr. Schinkel, dies Alles ist durch und durch unethisch, menschenverachtend und verletzt das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Abschließend möchte ich deshalb die Frage an Sie richten, ob das BfArM diesen unhaltbaren Tatbestand dem Gesundheitsministerium und anderen politisch verantwortlichen Stellen mitteilen – und eventuell empfehlen wird Cannabis umzustufen oder werden Sie andere Möglichkeiten der Entkriminalisierung von medizinischen Cannabis – Verwendern vorschlagen?

Etwa Mitte dieses Jahres werden die angesprochenen Sachverhalte zum Thema einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages gemacht. Ich gehe davon aus, dass die Stellungnahme des BfArM über unsere individuellen Schicksale mitentscheidet.

Freundliche Grüße

Gabriele Gebhardt

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